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Kopfschmerzen und Migräne Diagnose
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Kopfschmerzen und Migräne

Evidenzbasierte Leitlinie zu Diagnose und Therapie
Entwickelt durch das Wissensnetzwerk „evidence.de“ der Universität Witten/Herdecke

Version 4/2003
Eine Aktualisierung dieser Leitlinie ist nicht geplant (Stand September 2007)

Diagnostik Haupttext

Die hier vorliegende Version richtet sich an Ärzte und Gesundheitsfachleute.
Für Betroffene, Angehörige und Betreuer existiert eine
Patientenleitlinie.

Die Leitlinie Kopfschmerzen in der Version 4/2003 basiert auf anderen nationalen und internationalen Leitlinien-Dokumenten, die übersetzt, inhaltlich und formell überarbeitet und an hausärztliche Erfordernisse angepasst wurden. Eine Aktualisierung wird nicht mehr vorgenommen.
Impressum:
Entwicklung der Leitlinie, Autoren, Copyright...

Gliederung (Gesamt)

    1. Einleitung
      1.1 Epidemiologie
      1.2 Versorgungsproblem
      1.3 Adressaten der Leitlinie und Ausschlusskriterien
      1.4 Ziele der Leitlinie
      1.5 Einteilung der Evidenz
      1.6 Wichtigste Quellen der Leitlinie
    2. Definition
      2.1 Klassifikation
      2.2 Ätiologie, Pathologie und Pathophysiologie von Kopfschmerzen
      2.3 Auslöser und Triggerfaktoren
    3. Diagnostik
      3.1 Allgemeines
      3.2 Anamnese
      3.3 Empfehlungen zur Anamnese
      3.4 Allgemeinmedizinische Untersuchung
      3.5 Neurologische Untersuchung
      3.6 Empfehlungen Klinische Untersuchung
      3.7 Differenzialdiagnose
        3.7.1 Differenzialdiagnostische Hinweise zu den häufigsten Kopfschmerzformen
        3.7.2 Empfehlungen Differentialdiagnostische Fragen
        3.7.3 Diagnostische Kriterien primärer Kopfschmerzen
          3.7.3.1 Diagnostische Kriterien – Migräne
          3.7.3.2 Diagnostische Kriterien – Spannungskopfschmerzen
          3.7.3.3 Diagnostische Kriterien – Clusterkopfschmerz
          3.7.3.4 Cervikogener Kopfschmerz
        3.7.4 Differenzialdiagnosen – Hinweise auf sekundäre Kopfschmerzen
          3.7.4.1 Sekundäre Kopfschmerzen – Symptome
          3.7.4.2 Empfehlungen Differenzialdiagnostik sekundärer Kopfschmerzen – Symptome
          3.7.4.3 Sekundäre Kopfschmerzen – Ursachen
          3.7.4.4 Empfehlungen Differenzialdiagnostik sekundärer Kopfschmerzen – Abwendbar gefährliche Verläufe
          3.7.4.5 Empfehlungen Differenzialdiagnostik sekundärer Kopfschmerzen – Weitere Ursachen
          3.7.4.6 Medikamenteninduzierter Kopfschmerz
          3.7.4.7 Posttraumatischer Kopfschmerz
      3.8 Weiterführende Untersuchungen
        3.8.1 Blut- und Liquordiagnostik
        3.8.2 Empfehlungen Laboruntersuchungen bei primären Kopfschmerzen
        3.8.3 Apparative Diagnostik
        3.8.4 Empfehlungen Bildgebende Diagnostik bei Kopfschmerzen – generell
        3.8.5 Empfehlungen Bildgebende Diagnostik bei Kopfschmerzen und pathologischen neurologischen Befunden
        3.8.6 Empfehlungen Bildgebende Diagnostik bei bestimmten Symptomen
        3.8.7 Empfehlungen Bildgebende Diagnostik bei Patienten mit Migränekopfschmerzen bzw. Spannungskopfschmerzen und normalen neurologischen Befunden
        3.8.8 Empfehlungen Relative diagnostische Aussagekraft (Sensitivität) von CT und MRT
    4. Therapie
      4.1 Therapie des Spannungskopfschmerzes
        4.1.1 Behandlungsindikation und -ziel
        4.1.2 Nichtmedikamentöse Therapie und Prophylaxe
        4.1.3 Empfehlungen zur nichtmedikamentösen Therapie bei Spannungskopfschmerzen
        4.1.4 Medikamentöse Therapie
          4.1.4.1 Akuter (episodischer) Spannungskopfschmerz
          4.1.4.2 Empfehlungen Therapie akuter Spannungskopfschmerzen
          4.1.4.3 Behandlung des Spannungskopfschmerzes bei Kindern
          4.1.4.4 Chronischer Spannungskopfschmerz
          4.1.4.5 Empfehlungen Therapie chronischer Spannungskopfschmerzen
      4.2 Therapie der Migräne
        4.2.1 Behandlungsindikation und -ziel
        4.2.2 Nichtmedikamentöse Therapie und Prophylaxe der Migräne
        4.2.3 Empfehlungen Nichtmedikamentöse Therapieverfahren bei Migräne
        4.2.4 Medikamentöse Therapie der Migräne
      4.3 Therapie des substanz- (medikamenten-) induzierten Kopfschmerzes
        4.3.1 Nichtmedikamentöse Therapie
        4.3.2 Ambulanter Entzug
        4.3.3 Stationärer Entzug
        4.3.4 Praktische Hinweise zum Entzug
      4.4 Therapie des Clusterkopfschmerzes
      4.5 Therapie des cervikogenen Kopfschmerzes


1. Einleitung


    1.1 Epidemiologie

    Für Kopfschmerzen insgesamt wird eine Lebenszeitprävalenz von 71% angegeben. Diese 71% setzen sich zusammen aus ca. 38% Spannungskopfschmerzen (davon 3% chronisch), ca. 27% Migränekopfschmerzen und ca. 6% selteneren Kopfschmerzformen. Insgesamt leiden ungefähr 54 Millionen Menschen in Deutschland unter anfallsweisen oder chronischen Kopfschmerzen, 21 Millionen unter Migräne an durchschnittlich 34 Tagen im Jahr und 29 Millionen unter akuten, episodischen Spannungskopfschmerzen an durchschnittlich 35 Tagen im Jahr [122].

    Weitere Studien gehen davon aus, dass der Spannungskopfschmerz mit einer (Punkt-)Prävalenz von 63-86% die vorherrschende chronische Kopfschmerzform ist, gefolgt von der Migräne mit einer Prävalenz von 12-14% für Frauen und von 6-8% für Männer [123, 263, 266] [133]. Insgesamt entfallen also über 90% der Kopfschmerzerkrankungen auf die beiden primären Kopfschmerzformen Migräne und Spannungskopfschmerzen. Häufig kommen die verschiedenen Kopfschmerzformen auch kombiniert vor. So haben z.B. viele Migränepatienten auch gleichzeitig Spannungskopfschmerzen.
    Spannungskopfschmerzen finden sich etwas häufiger bei Frauen und bei Patienten mit positiver Familienanamnese [
    236].

    Sekundäre, d.h. auf anderen Erkrankungen beruhende Kopfschmerzen sind wesentlich seltener [266], bei den meisten Patienten, die mit Kopfschmerzen einen Hausarzt aufsuchen, liegen keine ernsthaften Ursachen vor [22, 283].

    Die Häufigkeit der Migräne beträgt vor der Pubertät 4-5%. Beide Geschlechter sind gleich häufig betroffen. Die höchste Inzidenz der Migräneattacken tritt zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr auf. In dieser Lebensphase sind Frauen dreimal häufiger betroffen als Männer [69]. Migräneattacken sind bei Frauen auch meist länger und intensiver [10]. Im natürlichen Verlauf nehmen Häufigkeit und Schwere von Migräneattacken nach dem 45. Lebensjahr langsam ab. Während der Schwangerschaft kommt es in ca. 60-80 % der Fälle ab Ende des dritten Monats zu einer Abnahme der Migränefrequenz [69].
    Cluster-Kopfschmerz (1 : 1.000), cervikogener Kopfschmerz, atypischer Gesichtsschmerz und die Trigeminusneuralgie sind wesentlich seltener.

    An einem schmerzmittelbedingten Dauerkopfschmerz leiden in Deutschland mehr als 100.000 Menschen [10, 72]. In spezialisierten Kliniken sind dies 5-10% aller Patienten mit Kopfschmerzen [130]. Bei diesen Patienten können sich zusätzlich zur regelmäßigen Einnahme von Analgetika und Migränemitteln auch andere Komplikationen wie Nierenschäden (Analgetika-Nephropathie), Magenulzera, Gefäßkomplikationen und maligne Tumoren des Urogenitaltraktes entwickeln [10] [130]. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass die regelmäßige Einnahme von Paracetamol und in geringerem Maße auch nichtsteroidalen Antirheumatika (aber nicht Acetylsalicylsäure) das Risiko der Entwicklung einer chronischen Niereninsuffizienz erhöht [245].

    Clusterkopfschmerzen treten im Mittel im Alter von 28-30 Jahren auf, die Inzidenz beträgt 15,6 auf 100 000 Personen pro Jahr für Männer und 4,0 auf 100 000 Personen für Frauen, die Prävalenz liegt bei 0,9%, 70-90% der Patienten mit Clusterkopfschmerzen sind Männer [116].
    Ein cervikogener Kopfschmerz liegt viel seltener (ca. 3-7%) vor, als er üblicherweise diagnostiziert wird [
    363]. Er findet sich häufig u.a. nach HWS-Distorsion, und zwar in ca. 8% aller Beschleunigungsverletzungen der HWS [165] [255], ist aber auf keinen Fall gleichzusetzen mit einem posttraumatischen Kopfschmerz.


    1.2 Versorgungsproblem

    Zu den häufigsten Schmerzsyndromen und Gesundheitsstörungen in der Bevölkerung zählen Kopfschmerzen [291]. Sie gehören auch zu den häufigsten Gründen, warum Patienten eine Hausarztpraxis aufsuchen [373]. Mit rund 2,5 Milliarden € belastet der durch Migräne bedingte Arbeitsausfall die deutsche Volkswirtschaft jährlich [73] [265], zusätzlich zu weiteren indirekten Kosten durch vorzeitige Berentung und den direkten Kosten der medizinischen Versorgung, wie Kosten für Medikamente, ambulante und stationäre Versorgung, Behandlungen in Reha-Einrichtungen und Behandlungskosten bei Auftreten von Folgeerscheinungen [220, 246]. In Europa war 1990 bei durchschnittlich 2% aller Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz eine Analgetikanephropathie ursächlich [35]. In den USA betragen die jährlichen, durch Kopfschmerzen verursachten Kosten für direkte medizinische Versorgung und verlorene Produktivität eingeschlossen, mehr als 17 Milliarden Dollar [59].

    Die funktionelle Einschränkung der Patienten durch Kopfschmerzen in Schule, zu Hause und im Arbeitsleben ist groß [292] [264]. Die Lebensqualität ist bei Migränepatienten stärker eingeschränkt als z.B. bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen oder Polyarthritis [82, 277, 334].

    Studien beschreiben, dass trotz dieser Vielzahl an Kopfschmerzpatienten bei den Ärzten oft ein Wissensdefizit besteht [115], Migräne zu selten erkannt und nicht ausreichend behandelt wird [46, 78, 194, 198, 318]. Bei nur 26% aller Patienten, die wegen Kopfschmerzen einen Arzt aufsuchten und bei denen nach den IHS-Kriterien (Klassifikation der Kopfschmerzen nach der International Headache Society siehe auch Kapitel 2.1) eine Migräne vorlag, wurde auch eine Migräne diagnostiziert [115]. Häufig werden Kombinationspräparate verordnet, eine Migräneprophylaxe wird nur selten eingeleitet [174]. Oft übersehen wird auch der medikamenteninduzierte Kopfschmerz [24]. Dagegen zu häufig diagnostiziert wird der cervikogene Kopfschmerz [363].

    Auch in der Bevölkerung sind keine ausreichenden Kenntnisse über Bezeichnungen und Ursachen von Kopfschmerzen vorhanden [247]. 50% aller Kopfschmerzpatienten glauben, dass eine körperliche Erkrankung Ursache für die Beschwerden ist. Nur 62% aller Migränepatienten und 36% aller Patienten mit episodischem Spannungskopfschmerz waren wegen ihrer Beschwerden im Laufe ihres Lebens beim Arzt [265].

    Apparative Untersuchungen werden oft und wiederholt eingesetzt, um die Kopfschmerzursache zu ermitteln, obwohl diese bei den häufigen, primären Kopfschmerzen nicht indiziert sind [221].


    1.3 Adressaten der Leitlinie und Ausschlusskriterien

    Patienten mit Kopfschmerzen werden im Rahmen der Grundversorgung behandelt und bedürfen nur in speziellen Situationen weitergehender Betreuung im Sinne von fachärztlicher oder stationärer Versorgung. Daher richtet sich die Leitlinie primär an Ärzte in der Grundversorgung. Um die Versorgung von Patienten möglichst nahtlos zu gewährleisten, werden bei den Hintergrundinformationen dieser Leitlinie die Schnittstellen zu Facharzt und Klinik dargestellt.

    Die Leitlinie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Einzelne Themenkomplexe mussten ausgespart werden. Sie fokussiert auf die Diagnostik und Therapie der beiden häufigsten primären Kopfschmerzformen bei Erwachsenen, den Spannungskopfschmerz und die Migräne. Andere, seltenere Kopfschmerzformen werden hauptsächlich im differenzialdiagnostischen Teil erwähnt und näher beschrieben. Diagnostik und Therapie von Kopfschmerzen bei Kindern werden nicht oder nur am Rande behandelt.


    1.4 Ziele der Leitlinie

    Diese Leitlinie möchte

    • den hausärztlich tätigen Ärzten eine evidenzbasierte Hilfe für Diagnose, Differenzialdiagnose und Therapie von Kopfschmerzerkrankungen bieten
    • deutlich machen, welche Therapiemöglichkeiten in der hausärztlichen Versorgung bestehen
    • die sinnvolle Auswahl von Medikamenten unterstützen, um die Aufrechterhaltung und Compliance mit der Therapie zu fördern und Nebeneffekte zu minimieren und die Information und Auswahl für die Patienten zu steigern
    • den funktionellen Status von Kopfschmerzpatienten verbessern
    • zur Vermeidung überflüssiger Diagnostik und nicht adäquater Therapie beitragen und die diagnostische Sicherheit verbessern
    • durch die zugehörige Patientenleitlinie helfen, das Wissen über Kopfschmerzen in der Bevölkerung zu verbessern, und dadurch die Selbstverantwortung des Patienten für Diagnostik und Therapie stärken
    • aufzeigen, wie durch Anamnese und klinische Untersuchung ein symptomatischer Kopfschmerz identifiziert werden kann, der eine Überweisung zum Spezialisten oder weiterführende apparative Diagnostik erfordert

    Diese Leitlinie soll nicht die klinische Erfahrung im Umgang mit individuellen Patienten ersetzen, sondern eine evidenzbasierte Hilfe sein, wenn es darum geht, optimale Untersuchungs- und Behandlungsstrategien für den einzelnen Patienten zu entwickeln. In dem Bewusstsein, dass viele Diagnostikverfahren oft aus rechtlichen – verständlichen – Gründen durchgeführt werden, soll diese Leitlinie dazu beitragen zu erkennen, wann auf bestimmte diagnostische Verfahren evtl. verzichtet werden kann.


    1.5 Einteilung der Evidenzstärken

    Die Empfehlungen der Leitlinie sind – ihrer Relevanz entsprechend – in 3 Stufen (A, B, C) eingeteilt, die durch die Stärke des zugrunde liegenden Evidenzgrades charakterisiert werden. Nähere Einzelheiten finden Sie unter Hintergrundinformationen zu “Einteilung der Evidenz” (1.5H).


    1.6 Wichtigste Quellen der Leitlinie

    Die Leitlinie Kopfschmerz in der Version 04/2003 basiert zum Teil auf anderen nationalen und internationalen Leitliniendokumenten, die übersetzt, inhaltlich und formell überarbeitet und an bundesdeutsche und hausärztliche Erfordernisse angepasst wurden. Die wichtigsten sind:

    • Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Empfehlungen zur Therapie chronischer Kopf- und Gesichtsschmerzen. 2001. [10]
    • Diener, H.C., et al., Therapie der Migräneattacke und Migräneprophylaxe. Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DKMG). 2000. [69]
    • ICSI (Institute for Clinical Systems Improvement) Health Care Guideline: Migraine Headache. 2000. [151]
    • Pryse-Phillips, W. E., et al., Guidelines for the diagnosis and management of migraine in clinical practice. Canadian Headache Society. 1997. [260]
    • Pryse-Phillips, W.E., et al., Guidelines for the nonpharmacologic management of migraine in clinical practice. Canadian Headache Society. 1998. [261]
    • American Academy of Neurology: Evidence-Based Guidelines for Migraine Headache. 2000. [4]
    • Masdeu, J.C., et al., Atraumatic isolated headache--when to image. American College of Radiology. 2000. [209]
    • Frishberg, B.M., et al., Evidence-Based Guidelines in the Primary Care Setting: Neuroimaging in Patients with Nonacute Headache; American Academy of Neurology. 2000. [96]
    • Haag, G., et al., Prophylaxe und Therapie des medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzes. Therapieempfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. 1999. [130]
    • Pfaffenrath, V., et al., Die Behandlung des Kopfschmerzes vom Spannungstyp. Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. 1998. [250]
    • Göbel, H., et al., Therapie des Clusterkoschmerzes. Therapieempfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. 1998. [116]
    • Wekerle, G., Diagnostik und Therapie des cervikogenen Kopfschmerzes. Forschungsergebnisse der DMKG. [363]
    • Straube, A., Episodischer und chronischer Spannungskopfschmerz. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 2002. [321]
    • Diener, H., Therapie der Migräne. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 2002. [64]
    • May, A., Cluster-Kopfschmerzen. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 2002. [215]


2. Definition

Die IHS (International Headache Society) unterscheidet in ihrer international gebräuchlichen Klassifikation ([153] siehe Kapitel 2.1) primäre und sekundäre Kopfschmerzen. Sekundäre Kopfschmerzen sind symptomatische Kopfschmerzen, d.h. Symptom einer anderen Erkrankung, z.B. einer Veränderung des Gehirns oder seiner Häute oder einer metabolischen Störung. Sie werden kausal behandelt. Bei primären Kopfschmerzen ist der Schmerz Hauptsymptom und nicht Ausdruck einer anderen, strukturellen Erkrankung [10]. Migräne und Spannungskopfschmerzen gehören zu den primären Kopfschmerzen und machen 92% aller Kopfschmerzerkrankungen aus [123]. Diese beiden Kopfschmerzformen treten häufig gemeinsam bei einem Patienten auf [280].


    2.1 Klassifikation

    Klassifikation der Kopfschmerzen nach der International Headache Society (IHS) [153] und der ICD-Klassifikation (Auszug aus „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme in der 10. Revision (ICD-10)“ [150])

    Primäre Kopfschmerzen

      G43.-  Migräne
      G43.0  Migräne ohne Aura (Gewöhnliche Migräne)
      G43.1  Migräne mit Aura (Klassische Migräne)
      G43.2  Status migraenosus
      G43.3  Komplizierte Migräne
      G43.8  Sonstige Migräne
        • Ophthalmoplegische Migräne
        • Retinale Migräne
      G43.9 Migräne, nicht näher bezeichnet
      G44.-  Sonstige Kopfschmerzsyndrome
      G44.0 Cluster-Kopfschmerz
        • Chronische paroxysmale Hemikranie
        • Cluster-Kopfschmerz:
          • Bing-Horton-Syndrom
          • chronisch
          • episodisch
      G44.2 Spannungskopfschmerz
        • Chronischer Spannungskopfschmerz
        • Episodischer Spannungskopfschmerz
        • Spannungskopfschmerz o.n.A.
      G44.8 Sonstige näher bezeichnete Kopfschmerzsyndrome, Kopfschmerzen ohne strukturelle             Läsion (z.B. kälte- anstrengungsinduzierte Kopfschmerzen)

     

    Sekundäre Kopfschmerzen

      G44.88 Kopfschmerz nach Schädel-Hirn-Trauma
      G44.81 Kopfschmerz bei Gefäßerkrankungen (z. B. intrakranielle Ischämien, Blutungen,                    Thrombosen, Dissektionen, arterielle Hypertonie)
      G44.82 Kopfschmerz bei nichtvaskulären, intrakraniellen Veränderungen (z. B.                                  postpunktioneller Kopfschmerz, Veränderungen des intrakraniellen Druckes bei                     intrakraniellen Infektionen, Tumoren, Liquorabflussstörungen)
      G44.4/   Kopfschmerzen durch Substanzeinwirkung (Arzneimittelinduzierter
      G44.83   Kopfschmerz, anderenorts nicht klassifiziert) (G44.4) oder Entzug (G44.83)
        • Kopfschmerzen bei akuter Substanzaufnahme (z.B. Nitrite/Nitrate, Natriumglutamat, Kohlenmonoxid, Alkohol)
        • Kopfschmerzen bei chronischer Substanzeinnahme (z.B. Analgetika, Ergotamin)
        • Kopfschmerzen bei Entzug nach chronischer Substanzeinnahme (z.B. Ergotamin, Coffein, Opioide)
        • Kopfschmerzen bei Einnahme verschiedener anderer Substanzen (z.B. orale Kontrazeptiva, Östrogene)
      G44.88 Kopfschmerzen bei primär extrakraniellen Infektionen
      G44.88 Kopfschmerzen bei Stoffwechselstörungen (z.B. Hypoxie, Hyperkapnie,                                Hyperthyreose) oder z.B. durch Dialyse
      G44.84 Kopf- oder Gesichtsschmerzen, die assoziiert sind mit Veränderungen im Bereich                 des knöchernen Schädels, der Halsregion, der Augen (z. B. Glaukom,                                  Refraktionsanomalie), der Ohren (z.B. Otitis), der Nase und der Nasennebenhöhlen                 (z.B. Sinusitis), der Zähne, des Mundes oder anderer Gesichts- oder Kopfstrukturen
      G44.88 Kopf- und Gesichtsneuralgien, Affektionen von Nervenstämmen und                                      Deafferentierungsschmerzen (z. B. Trigeminus- (G50.0) oder                                               Glossopharyngeusneuralgie, Thalamusschmerz)
      R51      Nichtklassifizierbarer Kopfschmerz, Kopfschmerz o.n.A.


    2.2 Ätiologie, Pathologie und Pathophysiologie von Kopfschmerzen

    Unter 2.2H Hintergrundinformationen zu “Ätiologie, Pathologie und Pathophysiologie von Kopfschmerzen” werden pathogenetische und -physiologische Zusammenhänge zu den einzelnen Kopfschmerzarten erläutert.


    2.3 Auslöser und Triggerfaktoren

    Spannungskopfschmerzen können anfangs durch Stress und Wetterwechsel ausgelöst werden, im späteren Verlauf gibt es keine provozierenden Faktoren mehr [10].
    Bei der Migräne sind typische Triggerfaktoren bekannt. Triggerfaktoren sind biologische Faktoren oder Umwelteinflüsse, die bei entsprechender Disposition einen Migräneanfall provozieren können, aber nicht in jedem Fall müssen [
    69]. Sie sind Anlass, nicht Ursache einer Migräneattacke. Typische Auslöser eines Anfalls sind [69, 345]:

    • Hormonschwankungen bei Frauen (Häufung von Migräneanfällen 2 Tage vor und während der Periode [319], bei Ersteinnahme von Hormonpräparaten zur Empfängnisverhütung und nach den Wechseljahren)
    • Stress (Situationen mit psychisch-körperlicher Anspannung, Erwartungsangst, Entlastungsreaktionen nach Stress) („Feierabend-Migräne“, „Wochenend-Migräne“)
    • Bestimmte Substanzen: Alkohol, besonders Rotwein [279], bestimmte Käsesorten, Südfrüchte
    • Änderungen des Schlaf-Wach-Rhythmus (z.B. Ausschlafen am Wochenende)
    • Lärm, Flackerlicht, Aufenthalt in großer Höhe, Kälte oder verqualmten Räumen
    • Schwankungen des Koffeinspiegels bei regelmäßigem Koffeingenuss
    • Hypoglykämie (z.B. durch ausgelassene Mahlzeiten)
    • Wettereinflüsse [48]

    Schokolade zählt entgegen früherer Auffassungen nicht zu den auslösenden Faktoren [207]. Der Heißhunger auf Süßes scheint eher Symptom für eine bald folgende Migräneattacke zu sein.


3. Diagnostik


    3.1 Allgemeines

    Die wichtigsten und in der Regel ausreichenden diagnostischen Mittel bei chronischen oder chronisch rezidivierenden Kopfschmerzen sind Anamnese und körperliche Untersuchung. Insbesondere bei den primären Kopfschmerzformen Migräne und Spannungskopfschmerzen stützt sich die Diagnose auf die anamnestische Beschreibung des typischen Schmerzcharakters (siehe Algorithmus Diagnostik und Tabelle 3.1) in Verbindung mit einem normalen körperlichen und neurologischen Untersuchungsbefund.

    Ein Kopfschmerzfragebogen und ein Kopfschmerztagebuch erleichtern die Diagnosefindung. Ursachen von sekundären Kopfschmerzen (siehe Kapitel Differenzialdiagnosen) müssen vor Behandlungsbeginn durch Anamnese, körperliche Untersuchung und ggf. weiterführende Diagnostik ausgeschlossen werden.

    Die Anamnese kann in Verbindung mit Symptomen ebenfalls wertvolle Hinweise liefern bei Verdacht auf sekundäre Kopfschmerzen.


    3.2 Anamnese

    Wichtige anamnestische Fragen können folgender Aufzählung entnommen werden:

    • Schmerzen:
      • Zeitlich: seit welchem Alter, seit wann vermehrt, von Tageszeit abhängig, Dauer, Frequenz, Intervalle, Periodik
      • Lokalisation: halbseitig, diffus, auf einen Bereich beschränkt, konstante Lokalisation oder wechselnd
      • Charakter und Intensität: pulsierend, hämmernd, pochend, dumpf, drückend, stechend, zuckend, tief, oberflächlich, Allgemeinbefinden eingeschränkt
      • Auslöser: Kopfhaltung, Husten, Pressen, Nahrungsmittel, Medikamente, Orthostase, Licht, Wetterwechsel, Umwelteinflüsse, Menstruation, psychische Einflüsse
      • Lindernde Faktoren/Medikamente: Dunkelheit, Ruhe, Liegen, Schlaf, Kaffee
      • Begleitsymptome: Lichtscheu, Flimmern, sensorische (Miss-)Empfindungen, Übelkeit, Erbrechen, Herzklopfen, Schwindel, Ohrensausen, Ohnmacht, psychische Veränderungen, Rötung von Gesicht und Konjunktiven, Bewusstseinsstörungen, neurologische Ausfälle, Blutdruckschwankungen, Nasenlaufen, Tränen, Schwitzen, gehäuftes Wasserlassen
    • Eigenanamnese: Vorerkrankungen; Trauma von Kopf oder HWS; hoher oder niedriger Blutdruck; Erkrankungen von Augen, Ohren, Zähnen, Nasennebenhöhlen...; bekanntes Anfallsleiden, Meningitis; Stoffwechselerkrankungen; vegetative Beschwerden: Schlaf, Verdauung, Orthostatische Probleme; Genuss- und Suchtmittel, Medikamente; psychische Komponenten: Nervosität, Angst, Depression, Überlastung, Erschöpfung; Lebensumstände, Tagesablauf, Arbeitsplatz und -atmosphäre
    • Familienanamnese: Nervenkrankheiten, familiäre Kopfschmerzbelastung: bekannte/gehäufte Kopfschmerzen
    • Bisher durchgeführte Kopfschmerzdiagnostik mit Ergebnissen
    • Bisherige Kopfschmerzbehandlung: Medikamente/Schmerzmittel (Dosis, Dauer, Therapieerfolg); sonstige Therapien
       


    3.3 Empfehlungen zur Anamnese:

    Folgende anamnestische Fragen sollten gestellt werden (C):

    • Schmerzen: Beginn, Dauer, Frequenz, Lokalisation, Intensität, Charakter, Auslöser, lindernde Faktoren/Medikamente, Begleitsymptome
    • Eigenanamnese zu Vorerkrankungen, Medikamenten, besonders Schmerzmittel
    • Familiäre (Kopf-)Schmerzbelastung
    • Bisherige Kopfschmerzdiagnostik und -behandlung


    3.4 Körperliche allgemeinmedizinische Untersuchung
    Die körperliche allgemeinmedizinische Untersuchung sollte folgende Bereiche umfassen:

    • Allgemeinsymptome: Dyspnoe; vermehrtes Schwitzen; Einflussstauung, Ödeme, Lymphknotenschwellungen, Hautveränderungen, Anämische Zeichen; Tremor, Alkoholfötor, Temperaturerhöhung
    • Thorax (Herz- und Lungenauskultation, -perkussion) Herzgeräusche, -rhythmusstörungen, Emphysem, Lungenstauung
    • Blutdruckmessung beidarmig (Leitlinie Hypertonie), Hyper-/Hypotonie, Pulsstatus: Seitendifferenz
    • Vaskulärer Status (Halsarterien, Art. temporalis): Verhärtung, Strömungsgeräusche
    • HWS und Nacken: Beweglichkeit, verhärtete Muskulatur
    • Gesicht, Rachen, Kopf: Kalottenklopfschmerz, Verletzungen, Hämatome, Entzündungen, Knochenveränderungen, Narben, Zahnstatus, Zahnprothese, Kauakt, NNH: Druck- oder Klopfempfindlichkeit
    • Augen – Bulbustonus (Betasten des Bulbus), Fundus (Augen-Hintergrundspiegelung), Visus (Fingerzählen): Erhöhter Augeninnendruck, Stauungspapille, hypertensive Retinopathie, Visusminderung
    • Ohren (Gehör) (z.B. durch Fingerreiben): Hypakusis


    3.5 Neurologische Untersuchung

    Die neurologische Untersuchung sollte folgende Bereiche umfassen:

    • Prüfung auf Meningismus: Kernig, Lasègue
    • Hirnnerven
      • Okulopupillomotorik: Paresen, Strabismus, Nystagmus, Doppeltsehen, Anisokorie, Pupillenreaktionsstörung (Pupillenweite, Reaktion auf Licht, Konvergenz)
      • N. trigeminus: Kornealreflex, Sensibiliät des Gesichts, Nervenaustrittspunkte (NAP)
      • N. facialis (Stirnrunzeln, Naserümpfen, Zähnezeigen): Paresen
      • N. vagus (Racheninspektion): Gaumensegellähmung/-seitendifferenz
      • N. accessorius (Kopfwendung zur Seite gegen Widerstand): Funktionsminderung des M. sternocleidomastoideus
      • N. hypoglossus (Herausstrecken der Zunge): Abweichung zu einer Seite
    • Gesichtsfeld (Fingerperimetrie): Gesichtsfelddefekte
    • Muskeltonus mit Seitenvergleich, grobe Kraft (Passives Durchbewegen der Arme und Beine, Vorhalten der Arme mit supinierten Händen, frei gehaltenen Beine): Paresen, Kraftverlust
    • Reflexe (Eigenreflexe, Bauchhautreflexe, Babinski): Seitendifferenz, Reflexverlust, Pyramidenbahnzeichen
    • Koordination (Finger-Nasen-Versuch, Knie-Hacken-Versuch, Diadochokinese, Gang, Romberg-Versuch)
    • Sprache
    • Psychischer Befund: Bewusstseinslage, Orientierung, Denk-, Konzentrations- und Merkfähigkeit, Auffassungsgabe, Aufmerksamkeit, Antrieb, Stimmung, Emotionalität, Depression, Angststörung, Suizidalität, Schmerz- und Stressverarbeitungsstil
       


    3.6 Empfehlungen Klinische Untersuchung:

    Folgende köperliche allgemeinmedizinische und neurologische Untersuchungen sollten bei einem Patienten mit Kopfschmerzen durchgeführt werden (C):

    • Untersuchung auf Allgemeinsymptome, u.a. Temperatur
    • Auskultation, -perkussion der Thoraxorgane
    • Beidarmige Blutdruckmessung und Pulsstatus mit Untersuchung von Halsarterien und Art. temporalis
    • Untersuchung von HWS und Nackenmuskulatur auf Beweglichkeit und Muskeltonus, Prüfung auf Meningismus
    • Untersuchung von Gesicht, Kopf und Rachen auf Klopfschmerz, Verletzungen etc., u.a. NNH
    • Visus, Bulbustonus, evtl. Augenhintergrund
    • Gehör
    • Hirnnerven: u.a. Okulopupillomotorik, NAP, Gesichtssensibilität, Prüfung der mimischen Muskulatur, Rachen- und Zungeninspektion
    • Gesichtsfeld
    • Muskeltonusprüfung, Reflexe, Pyramidenbahnzeichen, Koordinationsprüfung, Sprache
    • Bewusstseinslage, Untersuchung auf psychische Auffälligkeiten


      3.7 Differenzialdiagnose


        3.7.1 Differenzialdiagnostische Hinweise zu den häufigsten Kopfschmerzformen

        Aus nachfolgender Tabelle 3.1 können die wichtigsten differenzialdiagnostischen Merkmale der häufigsten primären und einiger sekundärer Kopfschmerzformen entnommen werden.


        3.7.2 Empfehlungen Differentialdiagnostische Fragen

        Differentialdiagnostisch sollten folgende Schmerzcharakteristika erfragt werden (C):
        Beginn, Dauer, Frequenz, Lokalisation, Intensität, Charakter, Auslöser, Begleitsymptome.

          Tabelle 3.1 Differentialdiagnose häufiger Kopfschmerzformen (modifiziert nach Pfaffenrath et al. [250])

         

        Migräne

        Kopf-
        schmerz vom Spannungs-
        typ

        Clusterkopf
        schmerz

        Medika- menten induzierter Kopfschmerz

        Cervikogener Kopfschmerz [255]

         

        Lokal-
        isation

        meist einseitig (selten auch beidseitig)

        ganzer Kopf, beidseitig

        Orbital- und Stirnregion, einseitig

        meist beidseitig

        streng einseitig, seitenkonstant okzipital, mit Ausstrahlung nach temporofrontal, orbital

         

        Dauer

        4-72 Std.

        Stunden bis
        1 Tag

        15-180 Minuten

        konstant

        anfangs Stunden,
        später konstant

         

        Häufigkeit

        1-6/Monat

        gelegentlich bis täglich

        täglich

        konstant

        Attacken nicht obligat, typischerweise täglich

         

        Intensität

        mittel bis schwer

        leicht bis mittel

        schwer

        mittel bis schwer

        mittel bis schwer

         

        Charakter

        pochend, hämmernd, pulsierend

        dumpf, drückend

        heftigste, paroxysmale Schmerzen

        dumpf, bohrend, pulsierend

        konstant, dumpf-ziehend, oft mit überlagernden Attacken

         

        Begleit-
        symptome

        Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfind- lichkeit

        kaum

        Augentränen, Nasenlaufen, Ptosis, Miosis, Gesichts-
        rötung

        leichte Übelkeit und Lichtscheu

        Schonhaltung von Nacken und Kopf, Einnehmen einer bestimmten Schlafposition, gelegentlich Schluckbeschw erden oder Kloßgefühl im Hals

         

        Provo-
        kation/
        Auslöser

        Stress, Hormon-
        schwan-
        kungen, verschiedene Nahrungs-
        mittel, Wochen-
        ende, Wetter-
        wechsel

        Stress, Wetter-
        wechsel, später ohne Trigger

        Alkohol (kleine Mengen), Histamin, Nitroglyzerin

        chronische Schmerz-
        mitteleinnahme

        obligat mechanisch (Kopfdrehung etc.), z.T. Husten, Pressen, Wasserlassen, Druck auf C2 homolateral

         

        Sonstiges

        Während Schmerzen: Aufsuchen ruhiger und dunkler Räume

        ---

        fast nur Männer, oft nächtliche Attacken, Bewegungs-
        drang während Attacke

        imitiert den zugrunde-
        liegenden prim. Kopfschmerz

        oft HWS-Trauma in der Vorgeschichte

         

       

           


          3.7.3 Diagnostische Kriterien primärer Kopfschmerzen


          3.7.3.1 Diagnostische Kriterien – Migräne [
          153]

          Hauptmerkmale der Migräne ohne Aura

          1. 1. Kopfschmerz meist einseitig
          2. 2. pulsierend
          3. 3. mäßig bis stark, erhebliche Einschränkung der Tagesaktivität
          4. 4. Schmerzverstärkung durch körperliche Aktivität

          Begleitmerkmale der Migräne ohne Aura

          1. 1. Übelkeit (in fast 100% der Fälle)
          2. 2. Erbrechen (40-50%)
          3. 3. Lichtempfindlichkeit (60%)
          4. 4. Lärmempfindlichkeit (50%)

          Es sollten für die Diagnose Migräne ohne Aura mindestens zwei Hauptmerkmale und ein Begleitmerkmal vorliegen. Zusätzlich sollten zur Diagnosestellung mindestens fünf solcher Attacken der jetzigen Attacke vorausgegangen sein, die Dauer der Attacken sollte zwischen 4 und 72 Stunden gelegen haben und sekundäre Kopfschmerzen sollten durch Anamnese und klinische Untersuchung (ggf. weiterführende Diagnostik bei V.a. organische Ursache) ausgeschlossen sein.

          Viele Patienten berichten von einem Beginn der Schmerzen im Nacken, die dann im weiteren Verlauf halbseitig zur Stirn ausstrahlen, und von zusätzlichen Nackenverspannungen. Diese sind aber nicht Ursache des Migränekopfschmerzes, sondern eher Folge der Schmerzen; die Migräne projiziert sozusagen Schmerz in den Nacken.

          Die Migräne mit Aura (10-20% aller Migränepatienten) ist durch begleitende neurologische Reiz- und Ausfallerscheinungen, meist visueller Art, gekennzeichnet, die sich langsam über 5-20 Minuten entwickeln und bis zu 60 Minuten dauern.

          Zu den klassischen Aurasymptomen gehören homonyme Sehstörungen, einseitige Sensibilitätsstörungen oder Paresen und aphasische Störungen.

          Häufige Form der visuellen Aura ist das Flimmerskotom. Dieses Skotom beginnt in der Regel am Fixationspunkt und vergrößert sich langsam. Die Randzonen stellen sich gezackt und flimmernd dar. Die Dauer einer visuellen Aura sollte sich im Bereich von 5-30 Minuten bewegen. Die sensiblen Störungen verteilen sich typischerweise einseitig auf die Mund- und Handregion (cheiro-orale Hemihypästhesie). Motorische Ausfälle sind selten.

          Ein- und derselbe Migräniker kann sowohl unter einer Migräne mit als auch ohne Aura leiden. Isolierte visuelle Auren können bei Migränikern mit einer Eigenanamnese für eine Migräne bzw. bei einer familiären Belastung mit einer Migräne auftreten. Die Diagnose einer isolierten visuellen Migräneaura kann nur gestellt werden, wenn durch entsprechende technische Untersuchungen (MR-Angiographie) organische Ursachen ausgeschlossen wurden.


          3.7.3.2 Diagnostische Kriterien – Spannungskopfschmerzen [
          153] (modifiziert nach Pfaffenrath et al. [250])

          Hauptmerkmale des Spannungkopfschmerzes

          1. beidseitig
          2. drückend bis ziehend, nicht pulsierend
          3. leichte bis mäßige Intensität, übliche Tagesaktivität allenfalls behindert, nicht unmöglich
          4. keine Verstärkung der Schmerzen durch körperliche Aktivität

          Begleitmerkmale des Spannungskopfschmerzes

          1. keine Übelkeit und kein Erbrechen (Appetitlosigkeit möglich)
          2. Lichtempfindlichkeit und Lärmempfindlichkeit fehlen (eins von beiden kann vorkommen)

          Zur Diagnose von Spannungskopfschmerzen sollten mindestens zwei Hauptmerkmale und beide  Begleitmerkmale auftreten. Außerdem sollte der Patient wenigstens zehn ähnliche Attacken durchgemacht haben, die unbehandelt 30 Minuten bis 7 Tage gedauert haben. Sekundäre Kopfschmerzen sollten durch Anamnese und klinische Untersuchung (ggf. weiterführende Diagnostik bei V.a. organische Ursache) ausgeschlossen sein. In Einzelfällen kann der Kopfschmerz auch einseitig sein [252]. Auch wenn muskuläre Verspannungen im Nackenbereich gehäuft bei Patienten mit Spannungskopfschmerzen vorkommen, sind sie nicht Ursache der Schmerzen. Vielmehr können sie anfangs die Entstehung von Spannungskopfschmerzen begünstigen, im weiteren Verlauf kommt es aber aufgrund zentraler Dysregulationen der schmerzverarbeitenden Strukturen zur Verselbständigung der Schmerzen.

          Definition episodischer Spannungskopfschmerz:

          Dauer < 15 Tage im Monat oder < 180 Tage im Jahr

          Definition chronischer Spannungskopfschmerz:

          Dauer > 15 Tage im Monat oder >180 Tage im Jahr


          3.7.3.3 Diagnostische Kriterien – Clusterkopfschmerz

          Folgende Kriterien sollten erfüllt sein, um einen Clusterkopfschmerz zu diagnostizieren:

          • sehr starker einseitiger Schmerz orbital, supraorbital und/oder temporal
          • Dauer: unbehandelt 15-180 Minuten

          Wenigstens eines der folgenden Symptome sollte zusätzlich vorliegen:

          • 1. Miosis
          • 2. Ptosis
          • 3. Lidödem
          • 4. Augentränen (Lakrimation)
          • 5. Nasenlaufen (Rhinorrhoe)
          • 6. Kongestion der Nase
          • 7. starkes Schwitzen im Stirn- und Gesichtsbereich, Gesichtsrötung
          • 8. konjunktivale Injektion

          Zur Diagnose sollten solche Attacken, die zwischen ein mal alle zwei Tage und acht mal am Tag auftreten, bei dem Patienten mindestens schon fünf mal aufgetreten sein. Sie treten bevorzugt nachts, häufig zur gleichen Stunde auf.

          Der episodische Clusterkopfschmerz tritt in Perioden von 7 Tagen bis zu einem Jahr Länge auf, die durchschnittliche Dauer beträgt 4-12 Wochen. Die schmerzfreien Intervalle betragen mindestens 14 Tage. Der chronische Clusterkopfschmerz äußert sich durch das Auftreten von Clusterattacken über ein Zeitintervall von mehr als einem Jahr ohne Remission oder mit einer nur kurzfristigen Remissionsdauer von weniger als 14 Tagen [116]. Von Clusterkopfschmerzen sind fast nur Männer betroffen.


          3.7.3.4 Cervikogener Kopfschmerz

          Der cervikogene Kopfschmerz tritt streng einseitig, seitenkonstant und in der Regel täglich auf, strahlt vom Nacken über den Scheitel nach temporofrontal bzw. temporoorbital aus und wird als dumpf-ziehend beschrieben. Es besteht in der Regel eine passive Bewegungseinschränkung der HWS. Ausgelöst wird der cervikogene Kopfschmerz durch bestimmte Kopfhaltungen und -bewegungen oder Druck auf paravertebrale Triggerpunkte [304] [190, 243, 350]. Wichtiges diagnostisches Kriterium für den cervikogenen Kopfschmerz ist eine vorübergehende Schmerzfreiheit nach Infiltrationsblockade der ipsilateralen C2-Wurzel [363].

          Bislang ist ungeklärt, ob cervikogene Kopfschmerzen den primären oder den sekundären Kopfschmerzen zugeordnet werden sollten. Experten tendieren eher dazu, cervikogene Kopfschmerzen in die Kategorie der primären Kopfschmerzen einzuordnen.


          3.7.4 Differenzialdiagnosen – Hinweise auf sekundäre Kopfschmerzen

          Aufgrund der Vielzahl an Kopfschmerzursachen und -begleitsymptomen können hier nur die wichtigsten genannt werden.


          3.7.4.1 Sekundäre Kopfschmerzen – Symptome


          3.7.4.2 Empfehlungen Differenzialdiagnostik sekundärer Kopfschmerzen – Symptome:

          Bei folgenden Begleitmerkmalen sollte an sekundäre Kopfschmerzen gedacht werden (C):

          • Fieber, Gewichtsverlust, Myalgie
          • Bluthochdruck
          • Hirndruck- u./o. neurolog. Herdzeichen
          • Epileptische Anfälle
          • Synkopen, Bewusstseinsstörung
          • Meningismus, Photophobie
          • Organisches Psychosyndrom (Persönlichkeitsveränderungen, Verwirrtheit)
          • Akuter, heftigster, bisher nicht bekannter Kopfschmerz
          • Änderung der Kopfschmerzsymptomatik
          • über Monate zunehmender, therapieresistenter Dauerkopfschmerz
          • Migräne-Kopfschmerzen bei Patienten >50.Lj.
          • Erstmanifestation von Kopfschmerzen bei Über-65-Jährigen
          • ausgelöst durch Husten, Niesen, Pressen, körperl. Anstrengung, Geschlechtsverkehr etc....

          An symptomatische oder sekundäre Kopfschmerzen ist immer zu denken bei folgender Symptomatik bzw. folgenden Befunden (Begleitmerkmalen):

          • Fieber, Gewichtsverlust, Myalgien
          • Bluthochdruck
          • Hirndruckzeichen
          • Neurologische Herdzeichen, wie sensible oder motorische Ausfälle, Aphasie, Apraxie
          • Epileptische Anfälle
          • Synkopen, Benommenheit, Bewusstseinsstörungen
          • Meningismus, Photophobie
          • Organisches Psychosyndrom (Persönlichkeitsveränderungen, Verwirrtheit)
          • Akuter, heftigster, bisher nicht bekannter Kopfschmerz
          • Änderung der Kopfschmerzsymptomatik
          • Über Monate zunehmender, therapieresistenter Kopfschmerz
          • Migräne-Kopfschmerzen bei Patienten >50.Lj. [249]
          • Erstmanifestation von Kopfschmerzen bei Über-65-Jährigen [237]
          • Auslösung durch Husten, Niesen, Pressen, körperliche Anstrengung, Geschlechtsverkehr etc.
          • Vegetative Störungen


            3.7.4.3 Sekundäre Kopfschmerzen – Ursachen


            3.7.4.4 Empfehlungen Differenzialdiagnostik sekundärer Kopfschmerzen – Abwendbar gefährliche Verläufe:

            An folgende Ursachen sekundärer Kopfschmerzen sollte bei bedrohlicher Symptomatik gedacht werden (Abwendbar gefährliche Verläufe) (C):

            • Meningitis, Enzephalitis
            • SAB u. andere intrakranielle Blutungen
            • Zerebrale Sinusvenenthrombose
            • Hirntumor
            • Hirninfarkt
            • Hypertensive Krise
            • Glaukomanfall
            • Arteriitis temporalis

              Mögliche Ursachen für Kopfschmerzen bei bedrohlicher Symptomatik (Abwendbar gefährliche Verläufe) sind:

              • Meningitis, Meningoenzephalitis, Enzephalitis
              • Subarachnoidal-Blutung (SAB)
              • Intrazerebrale Blutung (in 50% mit Kopfschmerzen verbunden [351])
              • Zerebrale Sinusvenenthrombose
              • Intrakranieller raumfordernder Prozess (Abszess, hirneigener Tumor, Metastase, Hämatom)
              • Hirninfarkt, Akute zerebrale Ischämie (eher unspezifische Kopfschmerzen [222], meist dumpf-drückend; Kopfschmerzen am häufigsten bei ischämischen Gefäßprozessen im vertebro-basilären Versorgungsgebiet [89, 158, 181])
              • Hypertensive Krise (Leitlinie Hypertonie)
              • Glaukomanfall
              • Arteriitis temporalis
              • Hitzschlag, Sonnenstich


              3.7.4.5 Empfehlungen Differenzialdiagnostik sekundärer Kopfschmerzen – Weitere Ursachen:

              An folgende Ursachen sekundärer Kopfschmerzen sollte bei bedrohlicher Symptomatik gedacht werden (Abwendbar gefährliche Verläufe) (C):

              • Meningitis, Enzephalitis
              • SAB u. andere intrakranielle Blutungen
              • Zerebrale Sinusvenenthrombose
              • Hirntumor
              • Hirninfarkt
              • Hypertensive Krise
              • Glaukomanfall
              • Arteriitis temporalis

                  Weitere Ursachen für sekundäre Kopfschmerzen sind u.a.:

                  • Augenerkrankungen: z.B. Refraktionsanomalien, Asthenopie (rasche Ermüdbarkeit der Augen beim Nahsehen), Konjunktivitis, Schielen
                  • HNO-Erkrankungen: Sinusitis (Schmerz über der betroffenen Nasennebenhöhle bzw. ausstrahlend), Otitis (Leitlinie Ohrenschmerzen)
                  • Zahnerkrankungen: z.B. Pulpitis
                  • Kiefererkrankungen: evtl. in Verbindung mit einer verminderten Kieferbeweglichkeit, Bewegungsgeräuschen, Druckschmerzhaftigkeit, z.B. myofaziales Syndrom, Costen-Syndrom [32, 296]
                  • Erkrankungen der Schädelknochen (z.B. Plasmozytom, Osteomyelitis)
                  • Substanzeinnahme:
                    • Akut: Alkohol, Medikamente (z.B. Nitrate, Natriumglutamat)
                    • Chronisch: Ergotamin, Analgetika (siehe auch: Medikamenteninduzierter Kopfschmerz)
                    • Entzug nach akuter oder chronischer Substanzeinnahme
                  • Erkrankungen der Halswirbelsäule und benachbarter Strukturen (cervikogener Kopfschmerz)
                  • Akute Infektionskrankheit
                  • Kopf- und Gesichtsneuralgien: z.B. Trigeminusneuralgie (streng einseitig, paroxysmal, wenige Sekunden bis zu 2 Minuten, Ausbreitung entsprechend der Äste des Nerven; heftig, scharf, brennend, stechend; Trigger: Essen, Sprechen...; zwischen den Schmerzepisoden komplett schmerzfrei; bei einzelnem Pat. immer stereotypes Muster)
                  • Akuter Herpes Zoster, Zosterneuralgie (bei über 6 Wochen persistierenden Beschwerden, Verstärkung durch Temperaturänderungen, Gesichtsbewegungen)
                  • Stoffwechselstörungen, z.B. Urämie
                  • postpunktioneller Kopfschmerz (Lumpalpunktion)
                  • Hypoglykämie, Hypoxie

                  Folgende Tabelle 3.2 gibt Auskunft über mögliche Ursachen bei bestimmten, die Kopfschmerzen begleitenden Symptomen bzw. Vorerkrankungen.

                  Tabelle 3.2 Sekundäre Kopfschmerzen – Symptome und Ursachen

                  Typische Symptome/anamnestische Hinweise, die zusätzlich zu den Kopfschmerzen auftreten

                  Mögliche Ursache

                   

                  Zustand nach Kopfverletzung, neurologische Herdzeichen, Hirndruckzeichen, Bewusstseinsstörungen

                  posttraumatischer Kopfschmerz, evtl. intrakranielle Blutung

                   

                  Nackensteifigkeit, Photophobie, Bewusstseinsstörungen, Fieber

                  Meningitis, Meningoenzephalitis

                   

                  Schlagartige, heftigste Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, evtl. Bewusstseinstrübung bis -losigkeit, neurologische Herdzeichen, Übelkeit/Erbrechen

                  Subarachnoidal-Blutung (SAB)

                   

                  Kopfschmerzauftreten am Morgen oder nach einem kurzen Schlaf am Tage, spontane Besserung nach dem Aufstehen; Übelkeit u. Erbrechen, Papillenödem; neurologische Herdzeichen, epileptische Anfälle, sensible oder motorische Ausfälle

                  Intrakranielle Neubildung (nur 50% der Patienten haben Kopschmerzen [94])

                   

                  Bekannter Bluthochdruck, Schwindel, Sehstörungen, Bewusstseinsstörungen, neurologische Ausfallerscheinungen, Benommenheit, Verwirrtheit

                  Hypertensive Krise (Leitlinie Hypertonie)

                   

                  Bekanntes Tumorleiden [327, 371]

                  Hirnmetastasen

                   

                  Zunehmende Müdigkeit, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Schwindel, Zunahme der Kopfschmerzen durch Husten, Niesen, Pressen oder Kopfbewegung, Nüchternerbrechen [240]

                  erhöhter intrakranieller Druck

                   

                  Sehstörungen, starker Schmerz im Bereich des Auges, evtl. mit Ausstrahlung, Übelkeit, Erbrechen; gerötetes Auge, ziliare Injektion, dilatierte Pupille, fehlende Lichtreaktion; harte Bulbi

                  Glaukom

                   

                  Sehstörungen

                  Refraktionsanomalien

                   

                  Patient > 60 Jahre, allgemeines Krankheitsgefühl und Schulter-Nackenschmerzen, einseitiger Kopf- und Gesichtsschmerz mit Zunahme beim Kauen, Gelenkschmerzen, Müdigkeit, druckschmerzhafte Arteria temporalis [45, 149, 366]

                  Arteriitis temporalis

                   

                  Schnupfen, Husten, Auswurf, Zunahme der Kopfschmerzen beim Husten bzw. bei Vornüberbeugen des Kopfes, Klopfschmerz über der betroffenen Nebenhöhle

                  Sinusitis

                   

                  Fieber und Schüttelfrost

                  Infektionskrankheit

                   

                  Medikamenteneinnahme (z.B. Nitrate, Kalziumantagonisten, Schmerzmittel...)

                  Kopfschmerzen durch Medikamenteneinnahme

                   

                  Im Folgenden werden einige der sekundären Kopfschmerzen näher beschrieben.


                  3.7.4.6 Medikamenteninduzierter Kopfschmerz

                  Auf den akuten medikamenteninduzierten Kopfschmerz, der z.B. nach Einnahme von Nitraten oder Kalziumantagonisten entsteht, soll in dieser Leitlinie nicht näher eingegangen werden. Der chronische medikamenteninduzierte Kopfschmerz besteht täglich oder fast täglich, ist meist beidseitig, dumpf, bohrend oder pulsierend und wird von leichter Übelkeit und leichter Lärm- und Lichtempfindlichkeit sowie evtl. von Schleier- oder Flimmersehen begleitet. Üblicherweise imitiert der Schmerzmittelkopfschmerz zunächst den zugrunde liegenden primären Kopfschmerz. Bei Migräne als primären Kopfschmerz ist der Kopfschmerz eher einseitig und seitenwechselnd von leichtem pulsierenden Charakter mit diskreter Übelkeit und Brechreiz. Patienten beschreiben in diesem Zusammenhang eine „tägliche“ Migräne.

                  Nach Absetzen der Analgetika treten Entzugskopfschmerzen auf, die mittelstark bis stark sind und 7-14 Tage dauern. Sie können von Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Herzrasen, Angstzuständen, Unruhe, Erregbarkeit und Schlafstörungen begleitet sein.

                  An einen chronischen medikamenteninduzierten Kopfschmerz sollte gedacht werden bei folgenden Konstellationen [10]:

                  • > 20 Kopfschmerztage im Monat
                  • > 10 Stunden Kopfschmerzen am Tag
                  • Einnahme von Kombinationspräparaten mit Opioiden, Codein, Coffein, Antihistaminika
                  • Einnahme von Schmerzmitteln an > 15 Tagen im Monat
                  • Regelmäßige Einnahme von Ergotamin, Dihydroergotamin, Triptanen oder Analgetika
                  • Zunahme der Stärke und Frequenz der Schmerzen bei Entzug


                  3.7.4.7 Posttraumatischer Kopfschmerz

                  Bis zu 14 Tage nach Schädelhirntraumen oder Beschleunigungsverletzungen der Halswirbelsäule („Schleudertrauma“) bzw. nach Wiedererlangen des Bewusstseins kann ein akuter posttraumatischer Kopfschmerz auftreten [132, 165]. Er klingt innerhalb von 8 Wochen wieder ab. Der chronische posttraumatische Kopfschmerz dauert länger als 8 Wochen. Bei bis zu 90% aller Schädelhirntraumen und HWS-Beschleunigungsverletzungen kommt es zu posttraumatischen Kopfschmerzen. Klinisch kann der posttraumatische Kopfschmerz in unterschiedlichen Formen in Erscheinung treten, am häufigsten (85%) manifestiert er sich als Kopfschmerz vom Spannungstyp, aber auch cervikogene Kopfschmerzen und selten Kopfschmerzen vom Cluster- oder Migränetyp sind möglich [165].

                  Die Bestimmung der unterschiedlichen Formen ist für die nachfolgende Behandlung von entscheidender Wichigkeit. Der posttraumatische Kopfschmerz vom Spannungstyp ist in der Regel holocephal, beidseitig, dumpf-drückend, ziehend oder pressend und besteht oft konstant über Tage bis Wochen oder selten episodisch. Begleitet werden kann – insbesondere der chronische posttraumatische – Kopfschmerz von vegetativen Störungen, Übelkeit und Erbrechen, Schwindel, Missempfindungen, rascher Ermüdbarkeit, Denkverlangsamung, Gedächtnisverlust, Ängstlichkeit, Depressivität, Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen [109, 166], durch Bewegung kann er sich verschlimmern.

                  Der Kopfschmerz nach HWS-Distorsion ist hauptsächlich in Hinterkopf und Nacken lokalisiert, kann in die Stirn ausstrahlen und tritt episodisch oder als konstanter Dauerkopfschmerz auf [20].
                  Ein halbes Jahr nach einem Schädelhirntrauma sind 80% der Patienten wieder kopfschmerzfrei [
                  165].


                3.8 Weiterführende Untersuchungen

                Jeder Patient mit akuten Kopfschmerzen in Verbindung mit Nackensteife und/oder Bewusstseinsstörung sollte sofort einer Fachklinik zugewiesen werden.

                Jeder anhaltende Kopfschmerz, der den Verdacht auf sekundäre Kopfschmerzen lenkt, sollte Veranlassung für eine Überweisung zum Neurologen sein, der in Abhängigkeit von der klinischen Verdachtsdiagnose die weitere Diagnostik durchführt bzw. einleitet.

                Das diagnostische Arsenal umfasst z.B. Labor- und Liquoruntersuchungen, CT, EEG, Sonographie, MRT, Angiographie und andere Methoden. Anschließend sollte die zugrundeliegende Erkrankung fachspezifisch behandelt werden. Auf die einzelnen Diagnose- und Therapieverfahren für sekundäre Kopfschmerzen wird in dieser Leitlinie aber nicht weiter eingegangen.


                  3.8.1 Blut- und Liquordiagnostik

                  ...bei primären Kopfschmerzen

                  Zur Diagnose von primären Kopfschmerzen sind keine Blut- und keine Liquoruntersuchungen erforderlich, sie können aber beim Ausschluss von sekundären Kopfschmerzen eine Hilfe sein.

                  ...bei sekundären Kopfschmerzen

                  Beispiele:
                  Eine Liquoruntersuchung ist ein wertvolles diagnostisches Hilfsmittel bei Verdacht auch Meningitis und Subarachnoidalblutung (SAB).

                  Bei Verdacht auf Arteriitis temporalis sind Blutuntersuchungen indiziert. Dabei ist das C-reaktive Protein fast immer erhöht, BSG mit durchschnittlichen Sedimentationsraten von 90mm/h ebenfalls. Bei klinisch unklarer Diagnose kann eine Temporalisbiopsie angezeigt sein.

                  Weiterhin sollte bei Verdacht auf medikamenteninduzierten Kopfschmerz eine Labordiagnostik zum Ausschluss einer Leber- und Nierenschädigung und ein Blutbild durchgeführt werden.


                  3.8.2 Empfehlungen Laboruntersuchungen bei primären Kopfschmerzen

                  Zur Diagnose von primären Kopfschmerzen sind keine Blut- und keine Liquoruntersuchungen erforderlich, sie können aber beim Ausschluss von sekundären Kopfschmerzen eine Hilfe sein. (C)


                    3.8.3 Apparative Diagnostik

                    Primäre Kopfschmerzen

                    Für die Diagnose von primären Kopfschmerzen wie Migräne und Spannungskopfschmerzen ist keine apparative Diagnostik indiziert [221], insbesondere gilt das für die Röntgenleeraufnahme des Schädels, die Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule, Computer- und Kernspintomographie [1, 95], EEG [3, 285], Dopplersonographie, Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und Single-Photonen-Emissionstomographie (SPECT). PET, Contingente Negative Variation (CNV) bei Migräne und Messung der Exterozeptiven Suppression bei Spannungskopfschmerzen sind wissenschaftlichen Fragestellungen vorbehalten.


                    Sekundäre Kopfschmerzen

                    Besteht der Verdacht auf sekundäre Kopfschmerzen (siehe unter Sekundäre Kopfschmerzen – Symptome), ist die entsprechende apparative Diagnostik einzuleiten.


                    Gründe für den Einsatz apparativer Diagnostik

                    Apparative Diagnostik wird bei Patienten mit Kopfschmerzen häufig eingesetzt, um eventuelle zugrundeliegende bedrohliche Erkrankungen auszuschließen, aber auch, um die Angst des Patienten zu reduzieren, seine Zufriedenheit mit der medizinischen Behandlung zu verbessern, auf Wunsch der Angehörigen oder aus rechtlichen Gründen [96] [22]. In einer Studie gaben 60% der Patienten, die eine Kopfschmerzklinik aufgesucht hatten, an, sie hätten Angst, eine ernsthafte Erkrankung zu haben [92]. Es gibt aber auch Risiken beim Einsatz apparativer Diagnostik.

                    Es besteht häufig die Möglichkeit von unerwünschten Nebenwirkungen, z.B. Kontrastmittelreaktionen oder Übersedierung von klaustrophobischen Patienten im MRT, und von falsch positiven Befunden bzw. falscher Beruhigung aufgrund inadäquater Diagnostik [96]. Zum Beispiel können bei Migräne- und auch bei einigen Spannungskopfschmerzpatienten im MRT häufig vorkommende hyperintense Herde als Multiple Sklerose fehlinterpretiert werden. Andere Befunde, z.B. kleine Meningeome, haben keine therapeutischen Konsequenzen, können den Patienten aber stark verunsichern und psychisch belasten. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass Befunde erhoben und mit den Kopfschmerzen in Verbindung gebracht werden, die aber nicht Ursache der Beschwerden sind. Zum Beispiel ist ein kausaler Zusammenhang zwischen degenerativen HWS-Veränderungen und primären Kopfschmerzen nicht feststellbar.

                    Weitere Nachteile sind hohe Kosten und bei einigen Verfahren die Strahlenbelastung. Im Einzelfall kann es z.B. zur Beruhigung des Patienten, der eine gefährliche Ursache der Kopfschmerzen vermutet, dennoch sinnvoll sein, bildgebende Verfahren einzusetzen. Damit kann dann ermöglicht werden, dass der Patient für weitere Therapien offen ist. In der Regel reicht aber ein offenes Gespräch und die Anerkennung der Ängste des Patienten aus, um den Patienten zu beruhigen. Wichtig dabei ist ein sicheres Auftreten des Arztes.

                    Besondere Vorsicht ist geboten bei Patienten, die das erste Mal in ihrem Leben einen heftigsten pulsierenden Kopfschmerz mit einer Aurasymptomatik erleben. Bei den typischen Symptomen für Migräne (siehe 3.7.3.1 Diagnostische Kriterien – Migräne) ist zwar die Diagnose der Erstmanifestation einer Migräne wahrscheinlich, die Patienten sollten aber grundsätzlich bei einem Neurologen vorgestellt oder stationär für eine Nacht zur Beobachtung aufgenommen werden. Eine i.v.-Gabe von Acetylsalicylsäure ist bei unklaren Fällen solange kontraindiziert, bis eine Blutung ausgeschlossen ist.

                    Unter 3.8.3H Hintergrundinformationen zu “Apparative Diagnostik” werden die apparativen Diagnostikmethoden sowie Wahrscheinlichkeiten, bei Vorliegen einer normalen neurologischen Untersuchung durch bildgebende Verfahren pathologische Veränderungen zu entdecken, näher erläutert.


                    Empfehlungen Apparative Diagnostik

                    Die folgenden Empfehlungen sind nicht allumfassend. Es gibt sicher weitere als die in den folgenden Empfehlungen genannten Gründe, warum bildgebende Verfahren eingesetzt werden können. Zum Teil werden sie hier nicht explizit genannt, weil zu einzelnen Themen keine publizierten Studien vorliegen.


                    3.8.4 Empfehlungen Bildgebende Diagnostik bei Kopfschmerzen – generell

                    Drei generelle Empfehlungen (C) zu bildgebenden Verfahren können gegeben werden:

                    1. Es sollten keine bildgebenden Verfahren angewandt werden, wenn das Ergebnis die Therapie nicht beeinflussen würde.
                    2. Es sollten keine bildgebenden Verfahren angewandt werden, wenn der Patient keine im Vergleich zu der Bevölkerung erhöhte Wahrscheinlichkeit für signifikante Abnormalitäten hat.
                    3. Bildgebende Verfahren können trotz fehlender Warnhinweise unter bestimmten Voraussetzungen angewandt werden, z.B. wenn ein Patient durch seine Angst vor ernsten Erkrankungen für keine weiteren therapeutischen Maßnahmen aufgeschlossen ist.

                      Ein pathologischer neurologischer Untersuchungsbefund bzw. einige Symptome erhöhen die Wahrscheinlichkeit, durch bildgebende Verfahren signifikante intrakranielle Abnormalitäten zu finden, das Fehlen von pathologischen Befunden bzw. Symptomen reduziert die Wahrscheinlichkeit.


                      3.8.5 Empfehlungen Bildgebende Diagnostik bei Kopfschmerzen und pathologischen neurologischen Befunden

                      Bildgebende Verfahren sollen bei Patienten mit

                      • nichtakuten (< 4 Wochen) Kopfschmerzen und
                      • nicht erklärbaren pathologischen, neurologischen Untersuchungsbefunden

                      in Erwägung gezogen werden. (B)

                      Auch wenn die Datenlage schmal ist, deutet alles daraufhin, dass bei Vorliegen folgender Symptome der Einsatz bildgebender Verfahren in Erwägung gezogen werden sollte.


                      3.8.6 Empfehlungen Bildgebende Diagnostik bei bestimmten Symptomen

                      Bei folgenden Symptomen müssen bildgebende Verfahren in Erwägung gezogen werden:

                      • Kopfschmerzen in Kombination mit Nackensteifigkeit und/oder Bewusstseinstrübung (C)
                      • Kopfschmerzen, die ein Erwachen aus dem Schlaf verursacht haben oder heftigster, bisher nicht bekannter Kopfschmerz (C)
                      • über Monate zunehmender Dauerkopfschmerz (C)
                      • neu entstandene migräneartige Kopfschmerzen bei älteren Patienten bzw. Erstmanifestation nach dem 65.Lj. (C)
                      • Kopfschmerzen, die sich durch ein Valsalva-Manöver verschlimmern (C)
                      • bei weiteren Symptomen, die den Verdacht auf sekundäre Kopfschmerzen lenken (siehe: Empfehlungen Differenzialdiagnostik sekundärer Kopfschmerzen – Symptome)


                      3.8.7 Empfehlungen Bildgebende Diagnostik bei Patienten mit Migränekopfschmerzen bzw. Spannungskopfschmerzen und normalen neurologischen Befunden

                      • Bildgebende Verfahren sind nicht indiziert bei Patienten mit Migräne- kopfschmerzen und normalen neurologischen Untersuchungsbefunden. (B)
                      • Bei Patienten mit atypischen Kopfschmerzcharakteristika und Patienten, die nicht eindeutig die Kriterien für eine Migräne erfüllen oder die andere Risikofaktoren (z.B. Diabetes mellitus, Multiple Sklerose, Hypertonie, Kollagenosen, Herz- klappenerkrankungen, Polycythämie, Hyperlipidämie) aufweisen, sollte die Schwelle für den Gebrauch bildgebender Verfahren niedriger angesetzt werden. (C)
                      • Obwohl die Datenlage schmal ist, deutet alles daraufhin, dass die gleiche Vor- gehensweise auch für Patienten mit Kopfschmerzen vom Spannungstyp gilt. (C)


                        3.8.8 Empfehlungen relative diagnostische Aussagekraft (Sensitivität) von CT und MRT

                        Aufgrund der schmalen Datenlage kann für den Gebrauch von CT bzw. MRT keine Empfehlung gegeben werden. (C)
                        Insgesamt ist das MRT sensitiver im Hinblick auf das Entdecken klinisch nicht signifikanter Abnormalitäten. Über die Abnormalitäten, die für Kopfschmerzen relevant und signifikant sind, lässt sich aufgrund dieser Studien allerdings keine Aussage machen.

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                    Eine Aktualisierung dieser Leitlinien ist nicht geplant (Stand September 2007)

                     

                     

                    ® Medizinisches Wissensnetzwerk evidence.de der Universität Witten/Herdecke Patienten...

                    Update:03/09/09

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