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Akute Otitis media (AOM), Mittelohrentzündung
Evidenzbasierte Leitlinie zu Diagnose und Therapie. Version 11/2002 Haupttext Die hier vorliegende Version richtet sich an Ärzte und Gesundheitsfachleute. Die Leitlinie „Akute Otitis media“ in der Version 11/2002 basiert auf anderen nationalen und internationalen Leitlinien-Dokumenten, die übersetzt, inhaltlich und formell überarbeitet und an hausärztliche Erfordernisse angepasst wurden. Eine Aktualisierung wird nicht mehr vorgenommen. Impressum: Entwicklung der Leitlinie, Autoren, Copyright.. Gliederung
5. Impressum
Für die akute Otitis media (AOM) gilt: 1.2 Adressaten (Zielgruppe) der Leitlinie, Ausschlusskriterien: Die Leitlinie bezieht sich auf Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 18 Jahren mit Symptomen, die den Verdacht einer akuten Otitis media begründen. Es gelten folgende Ausschluss-Kriterien für diese Leitlinie: Diese Leitlinie soll dazu beitragen 1.4 Einteilung von Empfehlungsklassen (nach AHCPR 1993/94) [1] A (Evidenzgrad I) B (Evidenzgrad II, III) C (Evidenzgrad IV) 1.5 Die wichtigsten Quellen dieser Leitlinie sind: 2. Definition, Ätiologie, Komplikationen
2.1 Definition, Ätiologie [19] [53]
Otitis media: Schmerzhafte Entzündung der Schleimhäute des Mittelohres, in der Regel durch aszendierende Infektion über die Tuba Eustachii bei bestehendem oder vorangegangenem oberen Luftwegsinfekt. 2.2 Häufigkeit der Erkrankung: Etwa 40% aller Kinder erkranken vor dem
10. Lebensjahr mindestens einmal an einer Otitis media. Das typische Erkrankungsalter liegt zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 4. Lebensjahr. Die häufigsten bakteriellen Erreger, mit unterschiedlicher Häufigkeitsverteilung je nach Patientenalter, Land und Kontinent sind [7] [53] [3]: Die Bedeutung viral ausgelöster Infektionen wird weiterhin kontrovers diskutiert [5], insbesondere die Bedeutung der Begünstigung bakterieller Superinfektionen durch Tubenfunktionsstörungen und Irritationen der Epithelien. Bei einer Untersuchung an 456 Kindern konnte man bei 41% aus dem Mittelohr Viren isolieren: Respiratory Syncytial Viren (74%), Parainfluenzaviren (52%), Influenzaviren (42%) und Enteroviren (11%). Bei mehr als der Hälfte der Kinder fanden sich gleichzeitig Bakterien: Streptococcus pneumoniae (25%), Haemophilus influenzae (23%) und Moraxella catarrhalis (15%) [32]. Sonderformen der akuten Otitis media wie die hämatogen fortgeleitete Scharlach- oder Masernotitis kommen heutzutage selten vor, sollten jedoch bei der Diagnosestellung bedacht werden. Im klinischen Alltag ist in der Regel keine sichere Differenzierung zwischen viraler und bakterieller Genese zu Beginn der Erkrankung möglich. 2.4 Risikofaktoren und deren Minimierung, Prophylaxe Die folgenden Faktoren erhöhen das Risiko für die akute Otitis media [63] [37]: (siehe auch 2.4.H) Zusammengefasst sind im Hinblick auf die Entstehung einer Otitis media diejenigen Faktoren von Bedeutung, die entweder das Risiko für obere Luftwegsinfektionen im Allgemeinen erhöhen oder zu einer Herabsetzung der lokalen Abwehrmechanismen führen. Diese Erkenntnisse sollten unter Aufklärungsaspekten in Elterngesprächen und Elternmerkblättern (siehe Patientenleitline) Berücksichtigung finden. Ob und in welchem Umfang sich die Inzidenz der Otitis media durch hieraus abgeleitete Präventivmaßnahmen tatsächlich senken lässt, ist bislang nicht anhand prospektiver Studien überprüft worden.
2.5 Mögliche Komplikationen einer AOM (Abwendbar gefährliche Verläufe) Die bekannten schweren Komplikationen einer akuten Otitis media sind durch sekundären infektiös-eitrigen Einbruch in das umliegende Gewebe gekennzeichnet und können ggf. einen septischen Verlauf nehmen. Im Gefolge einer AOM kann es zu einer Mastoiditis, ggf. auch einer Meningitis, kommen. Eine Begleit-Mastoiditis ohne klinische Symptomatik ist bei der AOM häufig vorhanden. Eitrige Mastoiditiden kommen dagegen sehr selten vor. Ihre Häufigkeit kann mit weniger als 1:1000 angegeben werden [30] [2] (siehe auch 2.5.H). Weitere beschriebene Komplikationen: 2.6 ICD-Klassifikation nach ICD-10 [36] (Auszug) H65 Nichteitrige Otitis media
Die Diagnose „Akute Otitis media“ wird tendenziell zu häufig gestellt [24]. Es ist zu beachten, dass bei Kindern mit akutem oberen Luftwegsinfekt der isolierte otoskopische Nachweis eines matten oder geröteten Trommelfells keinerlei Aussagekraft im Hinblick auf das Vorliegen einer akuten Otitis media hat. Der Befund eines vorgewölbten Trommelfells oder ein sichtbarer Flüssigkeitsspiegel sind als Zeichen eines bestehenden Ergusses zuverlässigere diagnostische Parameter. Die pneumatische Otoskopie (hierzulande unüblich) und die Tympanometrie sind in der Lage, die durch den bestehenden Erguss veränderte Trommelfellbeweglichkeit nachzuweisen und erhöhen damit deutlich die diagnostische Treffsicherheit. Bei kooperativen Patienten, entsprechender technischer Ausrüstung und ausreichender Erfahrung wird ihre Anwendung daher ausdrücklich empfohlen [37] [40]. Weitere Einzelheiten zur Problematik einer akkuraten Diagnostik finden Sie unter Punkt 3.5 3.1 Symptome der akuten Otitis media: Die jungen Patienten werden meist in den Wintermonaten vorgestellt, oft mit vorangegangenen grippalen Infekten. Es bestehen starke Otalgien, v.a. nachts, die nach Trommelfellperforation rasch zurückgehen [9]. Die Trommelfellperforation tritt meist am 2.-4. Tag nach Erkrankungsbeginn auf. 3.1.1 Symptome, die auf eine akute Otitis media hindeuten: [56] a) Unspezifische Atemwegssymptome (in über 90 % der Fälle vorhanden) in Verbindung mit b) lokalen Symptomen Gelegentlich treten auch Tinnitus und „Stimmenresonanz“ auf. Die typische Symptomatik bei akuter Otitis media ist eine Kombination aus unspezifischen Zeichen eines Infektes der oberen Luftwege in Verbindung mit lokalen „Ohr-bezogenen“ Symptomen. Bei Säuglingen und jungen Kleinkindern überwiegen die unspezifischen Symptome, die lokale Symptomatik ist häufig nicht offensichtlich. Bei unklaren akuten Erkrankungen sollte in dieser jungen Altersgruppe grundsätzlich eine Ganzkörperuntersuchung unter Einbeziehung der Ohren erfolgen. (Siehe auch 3.1.1 H) Bei Vorliegen folgender Kriterien ist eine AOM wahrscheinlich. (Modifiziert nach 4, 56) 3.2.1 Säuglinge und junge Kleinkinder Symptome eines akuten Atemwegsinfektes (s.o. 3.1.1) und Symptome eines akuten Luftwegsinfektes mit lokaler Symptomatik (s.o. 3.1.1) und
Die Eltern oder Betreuer sollten nach Folgendem befragt werden: 3.3.2 Körperliche Untersuchung Bei unklaren akuten Erkrankungen sollte in der Altersgruppe der Säuglinge und Kleinkinder (bis etwa zum 4. Lebensjahr) grundsätzlich eine Ganzkörperuntersuchung unter Einbeziehung der Ohren erfolgen. 3.3.3 Untersuchung von Kopf und Ohren Rötung und Druckschmerz über dem Mastoid sowie ein abstehendes Ohr (bei kleinen Kindern) können Hinweise auf eine bakterielle Mastoiditis geben [19]. Lokale und regionale Lymphknoten können schon durch den Infekt der oberen Luftwege geschwollen sein. 3.3.4 Untersuchung von Gehörgang und Trommelfell Ziel der Untersuchung sollte sein, das Trommelfell mit dem Otoskop in Gänze einzusehen und seine Beweglichkeit zu prüfen. 3.3.5 Entfernung des Cerumens [22] Die Entfernung des Ohrenschmalzes, um die Untersuchung des Gehörganges und des Trommelfelles zu ermöglichen, ist oft der schwierigste Teil des Untersuchungsganges. 3.3.6 Otoskopie (Ohrspiegelung) [22] Beide Methoden der Otoskopie sind in der Praxis oft schwierig durchzuführen und erfordern Übung und Erfahrung. Sollte eine adäquate Befundstellung nicht möglich sein, ist die mikroskopische Untersuchung des Mittelohres durch den Facharzt anzustreben. Als pathologische Befunde gelten [5] [39]: 3.3.7 Tympanometrie [22] Die Tympanometrie ist eine zuverlässige Untersuchung, um die Beweglichkeit des Trommelfelles zu messen und damit die Diagnose zu sichern, falls diagnostische Unsicherheit besteht. Gemessen wird die Impedanz (der Schallwiderstand) des Trommelfelles aus der sich die Schwingungsfähigkeit der Trommelfellmembran und der Gehörknöchelchen interpretieren lässt. Der Gehörgang wird durch Ziehen an der Ohrmuschel nach hinten oben gestreckt. Die Tympanometer-Sonde wird luftdicht in den Gehörgang eingeführt, nach ca. 2 Sekunden kann das Resultat der Druckmessung abgelesen werden. Da die Untersuchungsergebnisse durch Unruhe und Weinen verfälscht werden können, sollte die Tympanometrie zu Beginn des Untersuchungsganges erfolgen. 3.3.8 Parazentese (Myringotomie) [22] Die Parazentese, also die Inzision des Trommelfelles, ist indiziert bei Therapieversagern unter Antibiotika und bei Komplikationen. Sie ist im Regelfall nicht erforderlich [57]. Sie führt nicht zu einer beschleunigten Heilung [64] [23] [38], aber zu vorzeitiger Schmerzlinderung. Ihre Durchführung setzt ebenfalls Erfahrung voraus. Nach lokaler Anästhesie mit einer speziellen Creme (EMLA ®) für 30-60 Minuten wird im unteren Teil des Trommelfelles eine 1-2 mm lange Inzision mit einem speziellen Skalpell vorgenommen. Das Sekret wird zur mikrobiellen Untersuchung mit einer Kanüle abgesaugt, wobei eine Kontamination am Gehörgang zu vermeiden ist.
Symptome, die denen einer Otitis media akuta gleichen oder ähneln, können unter anderem hervorgerufen werden durch 3.5 Probleme und Unsicherheiten bei Untersuchung und Diagnose: Als Goldstandard für die Diagnose gilt die Parazentese. Das bedeutet strenggenommen: Studien zur Einschätzung der diagnostischen Aussagekraft „typischer“ Beschwerden und Symptome im Kindesalter oder der im klinischen Alltag eingesetzten Untersuchungsmethoden müssten einen Vergleich gegen diesen Goldstandard vornehmen. Entsprechend konzipierte Untersuchungen bei Kindern liegen allerdings nur vereinzelt vor. Die Diagnose einer akuten Otitis media ist schwieriger, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Es ist davon auszugehen, dass sie derzeit tendenziell zu häufig gestellt wird [24] [52]. Die Otoskopie als wichtigster Baustein der Diagnostik wird häufig erschwert durch fehlende Kooperation, unzureichend helle Lichtquelle oder Verlegung durch Cerumen [66]. Speziell bei der in angelsächsischen Ländern empfohlenen und verbreiteten pneumatischen Otoskopie kommen mangelnde Abdichtung des Gehörgangs und die Anwendung zu hoher Drucke als Fehlerquellen hinzu. Die Qualität der Befunde ist von der Übung und Erfahrung der Untersucher abhängig und kann durch videogestützte Trainingskurse verbessert werden [52]. Weitere Hintergrundinformationen: 3.5.H
Die Therapie soll dazu beitragen, 4.2 Prognose ohne antibiotische Therapie Etwa 80% aller Otitiden heilen unter symptomatischer Therapie spontan ab [54]. Komplikationen sind sehr selten; es gibt derzeit keine Evidenz dafür, dass sich Komplikationen durch Antibiotika-Therapie signifikant reduzieren lassen [33] [26] [19] [29]. 4.3.1 Nicht-medikamentöse symptomatische Behandlung Obwohl die Symptome einer Otitis media häufig dramatisch erscheinen, ist die Erkrankung doch selten ein Notfall. Die meisten Kinder können zunächst symptomatisch behandelt werden. Neben allgemeiner körperlicher Schonung und gegebenenfalls Bettruhe ist bei Fieber eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme empfehlenswert. Symptomatisch hilft bei Schmerzen auch die lokale Applikation von Wärme (ggf. auch Rotlicht). 4.3.2 Medikamentöse symptomatische Behandlung 4.3.2.1 Systemische Analgetika Die Einnahme von systemischen Analgetika sollte primär unter dem Gesichtspunkt der Schmerzreduktion erfolgen. In Deutschland ist die Anwendung von Paracetamol (10-15 mg/kg KG bis zu vier mal täglich, Tagesgesamtdosis max. 50 mg/kg KG) weit verbreitet. Eine neuere Untersuchung [8] weist auf eine mindestens vergleichbare, wenn nicht bessere analgetische Wirksamkeit von Ibuprofen hin. Eine größere randomisierte und doppelverblindete Studie an 84.192 Kindern zeigte zudem, dass Nebenwirkungen von Ibuprofen im Vergleich zu Paracetamol nicht signifikant häufiger auftraten [45]. Die gleiche Forschungsgruppe konnte auch für Kinder unter 2 Jahren zeigen, dass Ibuprofen gegenüber Paracetamol keine signifikant häufigeren Nebenwirkungen, wie gastrointestinale Blutungen, Gastritis, Asthma oder Erbrechen bewirkt [46]. Andere vergleichende Untersuchungen z.B. in der Anwendung bei pharyngitischem Schmerz bestätigen diese Beobachtung [58]. In einer doppelblinden randomisierten Studie konnte auch für die Gruppe der Asthmatiker gezeigt werden, dass der Einsatz von Ibuprofen gegenüber Paracetamol kein erhöhtes Risiko darstellt [44]. Es bleibt abzuwarten, ob weitere Untersuchungen diese Tendenzen bestätigen. 4.3.2.2 Systemische Analgetika in Deutschland: Für die konkrete Anwendung stehen in Deutschland zur Verfügung:
Systematische Übersichtsarbeiten oder Metaanalysen im Hinblick auf den Einsatz lokaler Analgetika liegen derzeit nicht vor. In der klinischen Praxis weichen die Konzepte derzeit weit voneinander ab. Einzelfallstudien zum Einsatz lokaler Analgetika [34] weisen noch keine eindeutigen Ergebnisse auf.
4.3.5 Adrenergika, Antihistaminika Systemischer Einsatz: In Deutschland kommen systemische Adrenergika und/oder Antihistaminika in der Behandlung der akuten Otitis media kaum zum Einsatz. Eine neuere Metaanalyse [25] zeigt im Übrigen keinen bzw. einen eher geringen Effekt in der Anwendung von systemisch angewandten Adrenergika, Antihistaminika oder einer Kombination aus beiden. Topischer Einsatz: Die hierzulande geübte Praxis einer lokalen Applikation schleimhautabschwellender Nasentropfen erscheint pathophysiologisch plausibel. Die Evidenzbasis dafür ist jedoch eher gering. Demgegenüber sind die Risiken häufiger Gaben lokaler Sympathomimetika in jedem Falle abzuwägen [25].
4.4. Angemessene antibiotische Behandlung Die antibiotische Behandlung einer akuten Otitis media ist seit längerem Gegenstand national und international geführter, teils kontroverser Diskussionen. Daher soll an dieser Stelle ausführlich Stellung genommen werden. In den Industrieländern variiert die Gabe von Antibiotika bei Otitis media zwischen 31% (Niederlande) und 98% (USA und Australien) [27]. In Deutschland wird der Einsatz von Antibiotika durch die Fachgesellschaften empfohlen [19]. Der Grund für die Verabreichung von Antibiotika ist in der Regel die Angst vor Komplikationen. Neuere Untersuchungen – hier wird auf die aktuellen Metaanalysen [28] [54] Bezug genommen – zeigen, dass die Gabe von Antibiotika zwar die mit der Erkrankung verbundenen Schmerzepisoden abkürzt (siehe auch 4.4.H1), jedoch in den untersuchten Populationen so gut wie keinen Einfluss auf die Komplikationsrate hat (siehe auch 4.4.H2). Auch die Dauer einer Antibiotikagabe (weniger oder mehr als 7 Tage) wirkt sich nicht signifikant auf den Verlauf aus [43]. In diesem Zusammenhang ist die “Number needed to treat” (NNT) aussagekräftig: Etwa 17 Kinder müssen antibiotisch behandelt werden, um bei einem Kind mit einer Schmerzreduktion nach 2 Tagen rechnen zu können (NNT= 17) [29] (siehe auch 4.4.H1). Die “Number needed to harm” (NNH) ist ebenfalls 17: Eines von 17 antibiotisch behandelten
Kindern bekommt unerwünschte Nebenwirkungen. Also treten für jedes Kind, bei dem mit Antibiotika eine Schmerzlinderung erreicht wurde, bei einem Kind unerwünschte Antibiotikawirkungen ein (Übelkeit, Erbrechen, Hautausschlag) (NNH = 17) [50] [53]. In Ländern, in denen Antibiotika bei AOM zurückhaltender verschrieben werden, sind Komplikationen nicht häufiger zu beobachten [27] [59] Mehrere aktuelle Studien und Reviews empfehlen eine sofortige Antibiotikatherapie nur in schweren Fällen, bei Vorliegen weiterer allgemeiner Krankheitssymptome (Erbrechen, hohes Fieber) oder ein zurückhaltendes Vorgehen in Absprache mit dem Patienten bzw. seinem Betreuer im Sinne der „gemeinsamen Entscheidungsfindung“ (shared decision making) [48] [17] [27] [29] [68]. Die Bedeutung der “Number needed to treat” (NNT), der “Number needed to harm” (NNH) sowie der relativen und absoluten Risikoreduktion (ARR) wird hier erläutert: http://www.medizinalrat.de/Eb_Medicine/Begriffe_EbM/begriffe_ebm.html 4.4.1 Einsatz von Antibiotika In einer großen Metanalyse von Rosenfeld [54] konnte nach Ablauf von 7-10 Tagen kein eindeutiger Wirksamkeitsvorteil einzelner Antibiotika gezeigt werden. Derzeit können nach EbM-Kriterien keine Empfehlungen für ein bestimmtes Antibiotikum gegeben werden [53]. Die Wahl des Antibiotikums stützt sich daher wesentlich auf die Kriterien: Sollte der Einsatz eines Antibiotikums notwendig werden, so empfiehlt sich zunächst der Einsatz von Amoxicillin [53] [10] [3]. Wesentliche Kontraindikationen: Penicillin-Allergie und das Vorliegen einer Epstein-Barr-Virus (EBV)-Infektion. In einer Übersicht der Agency for Healthcare Research and Quality [2] wird im Hinblick auf mögliche gastrointestinale Nebenwirkungen eine leichte Überlegenheit von Amoxicillin gegenüber oralen Cephalosporinen konstatiert. Die Kombination mit Clavulansäure ist dann zu empfehlen, wenn Anhaltspunkte für eine erhöhte Betalaktamasebildung (z.B. bei Haemophilus, S. pneumoniae und Moraxella) bestehen, sollte jedoch nach Möglichkeit nicht routinemäßig erfolgen. Bei Penicillin-Allergie können Makrolide (Erythromycin, Clarithromycin, Azithromycin) zum Einsatz kommen (siehe auch 4.4.2H1). Oral-Cephalosporine sind als Mittel der Reserve anzusehen, häufig bestehen Kreuz-Allergien zu Penicillinen. 4.4.2.1 Empfohlene Antibiotika Bei den Dosierungen ist zu beachten, dass sich im Kindesalter körpergewichtsbezogene Dosierungsangaben mit dem Alter des Kindes ändern können. Mittel der ersten Wahl: Bei Hinweisen auf erhöhte Betalaktamasebildung: Makrolide bei Penicillinallergie: Reserve: Cephalosporin bei Penicillinallergie Auch bei Erwachsenen ist Amoxicillin gegen die verbreitetsten Erreger wirksam und kann als Antibiotikum der ersten Wahl empfohlen werden [60] [11]. Eine primäre Behandlung mit Azithromycin vor allem aber mit Trimetoprim/Sulfometoxazol
(TMP/SMX) sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Wie sich in einer israelischen Studie zeigte, litten 15% der primär mit Azithromycin und 30% der primär mit TMP/SMX behandelten Patienten unter resistenten Stämmen von S. pneumoniae [14]. Die Resistenzentwicklung erfolgte innerhalb weniger Tage nach Beginn der antibiotischen Therapie. Bei unzureichender Compliance der Eltern und dringlicher Behandlungsindikation ist auch die einmalige i.v.- oder i.m.-Gabe von Ceftriaxon möglich. In einer großen Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass eine 5-tägige Behandlung, bei unkomplizierter AOM gegenüber einer längeren (7-10 Tage) ausreicht [43]. Abhängig vom Verlauf (Ggf. erneute Rücksprache mit dem Patienten/Betreuer erforderlich, siehe 4.4.6 link) sollte eine Antibiose für eine Dauer von 5 Tagen verordnet werden (Azithromycin: 3 Tage). 4.4.4 Nebenwirkungen und Folgen des Einsatzes von Antibiotika Die Gabe von Antibiotika kann ihrerseits zur Entwicklung von Übelkeit, Erbrechen und/oder Durchfall führen [18]. Bei 19% der antibiotikabehandelten Kinder wurde Durchfall beobachtet, verglichen mit 9% bei den symptomatisch Behandelten [47]. Andere Publikationen geben die “Number needed to harm” (NNH) mit 17 an [53] [50] (siehe auch 4.4). Die Resistenzentwicklung gerade auch im Zusammenhang mit dem Einsatz von Breitbandantibiotika ist sehr ernst zu nehmen, auch wenn die Situation in Deutschland noch vergleichsweise weniger dramatisch erscheint. Im Vordergrund stehen Resistenzentwicklungen gegenüber Betalaktamase-positiven S. pneumoniae und das Auftreten von Betalaktamase positiven H. influenzae. Der Einsatz von Antibiotika kann unter Umständen einen Circulus vitiosus bewirken, in dem die mangelnde Wirksamkeit einer Substanz zum Einsatz anderer Präparate führt, durch die wiederum sekundäre Resistenzen entstehen. So konnte bei Kindern, welche über längere Zeit
keine Antibiotika erhielten, kaum eine Kolonisation mit resistenten S. pneumoniae nachgewiesen werden. Demgegenüber waren bei 25% der aktuell mit Antibiotika bei AOM behandelten Kinder resistente Stämme 4.4.5 Zusammenfassende Aspekte zur Antibiotikatherapie: Für eine primäre Antibiotikatherapie sprechen: Gegen eine primäre Antibiotikatherapie sprechen: 4.4.6 Schlussfolgerungen Antibiotikatherapie Orientiert man sich an den umfangreichsten und qualitativ besten internationalen Studien, so ist bei unkomplizierter AOM ein zurückhaltendes Vorgehen in den ersten 36-48 Stunden (von Symptombeginn an) gut vertretbar [47] [29] [68]. Bestehen nach Ablauf dieser Zeit weiterhin lokale Schmerzen, so sollte in jedem Falle Rücksprache mit dem behandelnden Arzt gehalten werden. Die Patienten/Betreuer sollten durch ein Gespräch und durch ein Merkblatt (siehe Patientenleitlinie) ausführlich über dieses Vorgehen informiert und ausdrücklich auf die ggf. notwendige Neubewertung nach 36-48 Stunden bzw. eine Rücksprache mit der/dem behandelnden Ärztin/Arzt hingewiesen werden. Zuverlässige Patienten/Betreuer können eine ausgestellte ärztliche Verordnung eines Antibiotikums abhängig vom Krankheitsverlauf erst später einlösen [47]. 4.4.7 Einschränkungen für Kinder unter 2 Jahren Über den Einsatz von Antibiotika in dieser Altersgruppe liegen einzelne kontrolliert randomisierte Studien vor (z.B. [16]). Es gibt bisher keine Evidenz dafür, dass sich ein abwartendes Vorgehen hinsichtlich Antibiotikaeinsatz in dieser Patientengruppe anders auswirkt als bei älteren Patienten. Aufgrund der unter Umständen erschwerten Beurteilbarkeit von Symptomen bei Kindern dieser Altersgruppe sollte jedoch eine engmaschige Kommunikationsmöglichkeit mit der/dem behandelnden Ärztin/Arzt gewährleistet sein.[69] 4.5 Nachuntersuchungen [22] 4.6 Langfristige antibiotische Prophylaxe Bei rezidivierender Otitis media wird in den USA häufig zu einer langfristigen Prophylaxe z.B. mit Amoxicillin geraten [37]. Eine Metaanalyse wies eine Reduktion des Rückfallrisikos unter Antibiotikaprophylaxe über 3 bis 24 Monate von 0,19 auf 0,08 pro Patient und Monat nach (AAR =11%, NNT = 9) [67]. Eine neuere Studie konnte keinen Effekt gegenüber Plazebo nachweisen [31]. 5. Impressum
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